Wenn ich mich als Kind mit meiner Schwester gestritten habe musste ich mich immer bei ihr entschuldigen wenn ich falsch lag oder ihr Unrecht getan hatte.

Mich zu entschuldigen war lange Zeit eine sehr schwere Aufgabe für mich. 

Meine Sturheit hat mir nicht erlaubt meine Fehler einzusehen und hat mich immer in dem Glauben gelassen dass ich recht hatte. 

Deswegen waren meine Entschuldigungen immer halbherzig und ich habe stets gehofft dass meine Mutter mir das abkaufen würde.

Was sie natürlich nicht getan hat.

Wenn Du nicht in der Lage bist deine Fehler zu erkennen und anzuerkennen und nicht dazu bereit bist etwas an Dir und Deiner Denkweise zu ändern damit Deine Nächsten nicht mehr unter Deinem unangemessenen Verhalten oder Deinen Worten leiden, ist deine Entschuldigung nicht aufrichtig und trägt nicht zu einer Veränderung bei.

Seitdem mehrfach marginalisierte Menschen, vor allem Schwarze, eine Stimme in den sozialen Medien bekommen haben müssen sich Weiße, Medien- und Werbeunternehmen, Politiker etc. zunehmen wegen ihres Rassismus und der Verbreitung von Minderheiten diskriminierender Stereotypen verantworten und entschuldigen.

Wie oft lesen wir in den traditionellen und den sozialen Medien von einem weißen Mensch, der/die „aus Versehen“ das N* Wort benutzt hat und sich dann entschuldigen muss, oder von der Werbeagentur die erneut aus „Unwissenheit“ oder „mangelnder Aufmerksamkeit“ eine rassistische Werbung kreiert hat und sich nach einem Shitstorm offiziell entschuldigen muss.

Diese Entschuldigungen sind natürlich nicht ernst gemeint weil weiße Menschen meinen sich ständig (unberechtigt) entschuldigen zu müssen und sich eher als Opfer von mehrfach marginalisierten Menschen fühlen, weil sie jetzt „nichts mehr sagen dürfen”.

Nur aus dem Grund nicht als die Rassisten die sie sind abgestempelt werden, greifen sie auf das altbewährte „I’m sorry!” zurück.

Danach sind alle anderen Weißen glücklich und können weiterhin ohne schlechtes Gewissen die Produkte des rassistischen Unternehmens kaufen.

Ihr Gewissen ist rein und sie müssen sich hinsichtlich ihres Konsumverhaltens nicht einschränken.

Ist ja nichts dabei, sie haben sich ja entschuldigt oder etwa nicht? 

Steckt Dir Dein „tut mir leid“ sonst wohin 

Wie meine Mama immer zu sagen pflegte: Sich zu entschuldigen ohne sein Verhalten zu reflektieren ist keine Entschuldigung, sondern ein Versuch so gut wie möglich aus der unangenehmen Situation herauszukommen – ohne Konsequenzen tragen zu müssen.

Wenn die Werbeagentur rassistische Werbung publiziert war das keine Unaufmerksamkeit  oder Unwissenheit.

Alles ist analysiert und durchdacht und hat das Ziel, eine bestimmte Zielgruppe zu erreichen.

Es gibt hierbei zwei Zielgruppen die eine Rolle spielen: Die Empörten und die Berufs-Rassisten.

Die Empörten sorgen für das unbezahlte Marketing. 

Durch das Teilen und Kommentieren des jeweiligen Social Media Posts wird dessen Reichweite erhöht, wodurch mehr Menschen diese Werbung sehen werden.

Kostenlose Werbung – richtig gut oder? 

Die Berufs-Rassisten folgen danach und versuchen die rassistische Werbung zu verharmlosen und die Existenz von Rassismus zu negieren.

Sie versuchen die Diskussion ad absurdum zu führen und am Ende des Tages sind Sie die treuen Kunden des Unternehmens, die den Mut bewiesen haben diese freche Minderheit zu fronten und die nicht eingeknickt sind.

Sie zelebrieren die „Meinungsfreiheit“ die es Rassisten erlaubt Rassist zu sein ohne Konsequenzen zu tragen

Das „Recht” rassistisch zu sein wollen sie nicht wegnehmen lassen.

Erst wenn die ganze Diskussion zu kippen droht entschuldigen sich die Unternehmen mit Worten, die wir mittlerweile auswendig können und alle sind glücklich und zufrieden.

Die Rassisten kaufen jetzt aus Überzeugung bei den Unternehmen, und die Empörten haben in spätestens zwei Monaten die Debatte längst schon wieder vergessen und kaufen ebenfalls friedlich weiter.

*Am Supermarkt Regal*

„Laura ich würde den Smoothie nicht kaufen hast du nicht die Rassismus Diskussion mitbekommen? Sie haben rassistische Werbung gemacht”

„Ja Annika habe ich gesehen, schrecklich, aber sie haben sich ja entschuldigt” 

„NAAAA dann ist wieder alles tipptopp!” 

„Jap deswegen packe ich gleich 5 Stück ein, ist gerade im Angebot…”

Nichts hat sich geändert, das Unternehmen hat profitiert und dabei geholfen rassistische Strukturen und Ressentiments zu festigen.

Win-Win Situation! Doch die Frage hier lautet: Für wen? Wer ist Gewinner, wer ist Verlierer und wer sollte lernen müssen sich zu entschuldigen? 

Diese unaufrichtigen Entschuldigungen dienen lediglich dazu, das Gewissen anderer Weißen zu beruhigen. Sie überzeugen mich nicht, deswegen könnt ihr sie euch sonst wohin stecken, wir brauchen eure Produkte genauso wenig wie eure gesellschaftliche Heuchelei.

Der Rassismus Vorwurf 

Mindestens einmal im Monat muss ich bei Twitter folgenden lesen:

Heute wurde mir auf Twitter Rassismus vorgeworfen…

Johannes hat XY gesagt, ihm wurde Rassismus vorgeworfen

Immer wenn ich sowas höre/lese stelle ich mir vor wie jemand ein Päckchen mit Rassismus vorbereitet und es Johannes unbemerkter weise auf den Schoß wirft. Dann steht er erschrocken auf und schreit: MIR WURDE GERADE EBEN RASSISMUS VORGEWORFEN!!! ICH HAB NICHTS DAMIT ZU TUN ICH SCHWÖRE!

Es existiert keine Rassismus-Vorwurf seitens BIPOC, diese Wort impliziert das jemand evtl. nicht rassistisch war und dass das alles eine großes Missverständnis sei: Hey Johannes hat sogar Schwarze Freunde. Er kann doch kein Rassisten sein.

Die Erfindung des Rassismus-Vorwurfs ist der Beweiß, das Weiße nicht bereit sind ihre  Fehler zu reflektieren. Dieses Wort erlaubt es dem Täter, das Opfer zu diskreditieren. Die Wahrnehmungen der Opfer werden in Frage gestellt, und die rassistische Tat verharmlost: Es wäre nicht so gemeint gewesen, heute sei alles Rassismus, man dürfte nichts mehr sagen ohne als Rassist zu gelten etc.

Sogar der psychologische Zustand der Opfer wird mit Hilfe von Ableismus in Frage gestellt.

Wenn die gesellschaftliche Mehrheit genau so weiß ist wie die/der Täter_in wird das Täter-Narrativ verstärkt, das Opfer wird als Störenfried angesehen und die/der Täter_in bekommt das Mitleid welches sie_er braucht damit sie_er nicht als Rassist „gebrandmarkt“ wird.

Der Rassismus-Vorwurf existiert nicht, was dagegen existiert sind rassistische Strukturen, rassistische Sozialisierung und Denkmuster.

Wenn ein BIPOC sagt: Dies war Rassismus, dann ist das kein Vorwurf sondern eine Tatsache

Die Weiße Kunst sich als Opfer zustellen  

Weiße Menschen werden so sozialisiert dass sie glauben dass nur ihre Stimme zählt.

Sie sind Experten für alles und glauben, sie hätten alle Geheimnisse des Universums entziffert – deswegen haben sie immer Recht, egal zu welchem Thema.

Sie sind Brasilien Experte weil sie mal an der Copacabana einen überteuerten Caipirinha getrunken haben

Sie können den Israel-Palästina Konflikt lösen, denn der Nachbar einer Freundin von ihrem Onkel ist Jude.

Sie sind Rassismus-Experten weil sie im letzten Urlaub gefragt wurden wo sie herkommen.

Sie haben zu allem eine Meinung und von nichts eine Ahnung.

Weiße haben nicht gelernt sich selbst und ihre Umwelt zu hinterfragen, deswegen sind sie erschrocken wenn sie Meinungen, die nicht der ihren entsprechen konfrontiert werden.

In dem Moment in dem sie merken dass sie nicht recht haben, falsch liegen und rassistische Äußerungen getätigt haben erwacht die Dekaden alte Kunstform, sich gegenüber marginalisierten Menschen als Opfer darzustellen.

Weiße haben eine fragiles Ego, es ist zerbrechlicher als eine meiner billigen Unterhosen, die ich nicht in der Waschmaschine waschen darf weil sie sonst kaputt gehen würden.

Ein rohes Ei ist stabiler als das Ego von Weißen.

Sich zu entschuldigen haben sie so la la gelernt, aber gegenüber Marginalisierten bekommen sie das nicht hin. 

Sie können das nicht weil sie glauben sie hätten recht und allen anderen Marginalisierten unrecht. 

Sie glauben das Opfer zu sein obwohl sie die Täter sind.

Die rassistischen Äußerungen von Weißen entstehen nicht versehentlich oder wegen ihrer Unwissenheit. 

Es sind auch keine Kleinigkeiten, die sich mit einem halbherzigen „tut mir leid” aus der Welt schaffen lassen.

Rassismus ist und bleibt Gewalt egal wie sehr Du als Weiße_r versuchst es zu verharmlosen. 

Rassistische Sozialisierung löst sich nicht mit einem „I’m Sorry” in Luft auf.

Es erfordert Arbeit an sich selbst und Reflexion über die eigene Lebenswelt, über die eigenen Privilegien und über die Gegebenheiten der Gesellschaft.

Wenn Weiße nicht bereit sind an sich zu arbeiten werden sie nie in der Lage sein sich gegenüber Marginalisierten ernsthaft zu entschuldigen und ihrem Verhalten zu ändern.

Euer Mea Culpa überzeugt mich nicht.